Mittwoch, 19. Mai 2010

Die Regisseurin zu ihrem Film

In Afghanistan liegt meine Herkunft und Deutschland ist seit vielen Jahren eine neue, vertraute Heimat. So kurz könnte man die örtlichen Bezüge meines bisherigen Lebens beschreiben. Dahinter aber verbirgt sich eine stetige Identitätssuche, ein Abgleichen von Zugehörigkeit und Verschiedenheit. Dieses Gefühl teile ich mit vielen aus meiner Generation. Besonders mit denen, die, wie ich, in Afghanistan geboren sind, aber als Kinder das Land verlassen mussten.

In Kabul machte ich die unerwartete Erfahrung, dass selbst im eigenen Land diese “Suche” nach Herkunft zu finden ist. Besonders innerhalb der jungen Generation, die im Krieg geboren und aufgewachsen ist. Beide Seiten leben in einer vagen Vorstellung von einer Heimat zu Zeiten des Friedens. Eine leise Idee von meinem Filmprojekt entstand während meiner ersten Reise. Letzten Sommer folgte eine zweite Reise um Ahmad Zahirs Todestag herum. Ich wollte genauer ergründen, welcher Drang mich treibt, diesen Film zu machen. Erst am letzten Tag der Reise erahnte ich, wohin diese treibende Kraft mich führen sollte.

Vor Antritt dieser Recherche-Reise hatte ich viele Befürchtungen: Wie werden die Reaktionen sein, wenn eine junge Afghanin, die Ihre Heimat im Alter von fünf Jahren verlassen hat, zurückkehrt, um einen Film über den berühmtesten und meist geliebten Musiker des Landes zu machen? Ich traf auf offene Türen und offene Herzen und man begegnete mir mit Respekt. Ich durfte sensible, traurige und tränenreiche Momente, aber auch herzliche und vergnügte teilen.
---
REISETAGEBUCH 2008
Es ist der Tag unserer Abreise, der Rückflug geht am frühen Abend. Wir haben noch eine letzte Verabredung mit Manzur und den anderen jungen Musikern, die wir im Garten von Babur durch Zufall kennengelernt hatten. Sie haben ein kleines Konzert für uns organisiert. Wir treffen sie im Park vom Hotel Intercontinental in einem kleinen traditionellen Teehaus an einem grünen Hang. Holzpodeste sind mit Teppichen und Kissen ausgelegt, um uns herum trinken, in der Mittagshitze unter schattigen Bäumen Gäste ihren Tee und essen süßes Gebäck.Gemeinsam bauen wir eine kleine Bühne auf. Die Instrumente werden ausgepackt und gestimmt. In den nächsten zwei Stunden tauchen wir ein in eine andere Welt. Wir sind nicht mehr in dem Afghanistan, das von Armut und Krieg gekennzeichnet ist. Wir sind in einer Zukunft mit Frieden, wo wieder Platz ist für Musik und Gesang. Eine Generation von jungen Menschen sitzt vor uns und zeigt uns ihre neue Welt, die an eine alte musikalische Tradition anknüpft.
---
In diesem Moment und an diesem Ort wurde mir klar, dass ich nicht einen Film machen möchte, der ausschließlich Ahmad Zahir porträtiert. Die Handlung soll darüber hinausgehen. Der Wunsch, zu ergründen warum Ahmad Zahir bis heute unsterblich ist: Läuft man durch die Straßen von Kabul, ertönen seine Lieder aus allen Ecken. Er lebt in den Seelen und Herzen vieler Afghanen jeden Alters, in Afghanistan und überall in der afghanischen Diaspora. Ein einender Faktor zwischen den Ethnien dieses kriegszerrütteten Landes, ein Moment des Friedens, ein Blick in eine gemeinsame Vergangenheit.

Eine weiter Entscheidung war nicht nur in zu Kabul drehen. Ein großer Teil „Afghanistans“ lebt nicht mehr im Land. Ich bin ein Teil der Diaspora. Auch durch uns lebt Ahmad Zahir weiter. Durch ihn haben wir die Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit zu teilen. Eine „Gemeinsamkeit“ die auch Teil unserer Identität ist.

Während meiner ersten Recherchephase las ich auf etlichen internationalen Zahir-Foren-, Fan- und Blogseiten. Diese Seiten befassen sich hauptsächlich mit Interpretationen oder Übersetzungen seiner Songtexte. Viele der Fans nutzen sie aber auch, um ihre Bewunderung für Zahir und seine Musik mitzuteilen. Dabei bin ich auf ein paar Aussagen gestoßen. Rahima Akhi schrieb: “Ahmad Zahir is always alive in our hearts. When you hear him singing, makes you feel alive.” Said Bashir schrieb: “Ahmad Zahir is still living in people’s hearts and will rule their hearts for more centuries...”

Ich teile diese Zuneigung mit all den Fans in Afghanistan und der afghanischen Diaspora weltweit und möchte mit diesem Film ein Stück davon erzählen.

In der deutschen Öffentlichkeit wird fast ausschließlich Rückständigkeit, Gewalt, und Hilfsbedürftigkeit mit Afghanistan in Verbindung gebracht. Die Wahrnehmung des Landes ist dabei sehr fremdartig. Mein Anliegen ist es, ein Teil der Kultur des Landes zu zeigen, das zum Land gehört und unzerstört geblieben ist. In diesem kulturellen Erbe liegt viel Kraft und Hoffnung für Afghanistan. Kultur und Musik bieten Anknüpfungspunkte, die es einem europäischen Publikum leicht machen, Zugang zu diesem fremden Land zu finden.

Der Film schlägt über den Graben, den Politik, Machtsucht und Krieg gerissen haben, eine Brücke. „Die Nachtigall von Kabul“ zeigt eine andere Seite des Landes, dass so bisher kaum wahrgenommen worden ist.

Keine Kommentare: